Du betrachtest gerade 02 DIE GEISS ALS GÄRTNER!<span class="wtr-time-wrap after-title"><span class="wtr-time-number">13</span> Minuten</span>
DIE PRAXIS

02 DIE GEISS ALS GÄRTNER!13 Minuten

Der zweite Teil des Interviews mit Dominik Hauser widmet sich der praktischen Umsetzung des Beweidungs-Projektes. Spannend ist es dabei zu sehen, wie sich die Anzahl der Ziegen, der spezifische Fraß und die Nutzung des Geländes auf die Entwicklung des Pflanzen- und Tierbestands auswirken.

Ein Beweidungs-Projekt von Dominik Hauser.
Mit Unterstützung der Gemeinde Schlier, dem Landratsamt Ravensburg, dem Forst BW, dem Landschaftserhaltungsverband Ravensburg (LEV) und der Heinz-Sielmann-Stiftung.

DAS KONZEPT
Die Geiss als Gärtner
DIE PRAXIS
ERGEBNIS + FAZIT

PRAXIS: BEWEIDUNG UND IHRE EFFEKTE AUF DIE ARTENVIELFALT

Welche positiven ökologischen Auswirkungen können durch den Einsatz von Ziegen in der Kiesgrube erzielt werden?

Jede Weidetierart hat ein ganz eigenes Fraßverhalten und beeinflusst dadurch die Vegetationszusammensetzung und die Habitatstruktur unterschiedlich. Im Idealfall würden verschiedene Pflanzenfresser zusammen über große Flächen ziehen. Da dies in Deutschland so nicht mehr möglich ist, muss im Kleinen eine gewisse gesteuerte Beweidung stattfinden.

Auch alte Haustierrassen sind vom Aussterben bedroht. Die Landschaftspflege bietet eine hervorragende Gelegenheit zur Erhaltung der genetischen Vielfalt. 

Vereine zum Artenerhalt:
www.g-e-h.de
www.ProSpecieRara.ch

Ziegenrasse: Burenziege
Ziegenrasse: Passeirer Gebirgsziege

Ziegen sind geeignet, um lichtliebende Tier- und Pflanzenarten auf der Fläche zu erhalten. In entsprechender Dichte können sie auch die krautige Vegetation gut abweiden und so, richtig eingesetzt, für eine hohe Artenvielfalt in der Krautschicht sorgen. Dafür ist bei Ziegen und Schafen jedoch ein recht aufwändiges Management notwendig, bei dem die Tiere mahdähnlich auf Koppeln oder gehütet über die Flächen geführt werden. Eine hohe Anzahl an Ziegen würde aber gleichzeitig die Gehölze für dieses Projekt zu stark verbeißen. Ideal wäre daher eigentlich eine Kombination mit Arten, die sich stärker auf Gras bzw. die krautige Vegetation spezialisiert haben (etwa Schafe). Eine Kombination ist jedoch aus organisatorischen Gründen im Winter nicht möglich. Daher wird das Projekt im Frühsommer 2025 ganz auf Schafe umgestellt, welche eher die krautige Vegetation abfressen. Gleichzeitig wird dann eine händische Entbuschung öfter nötig werden.

Ziegen schaffen speziell an steilen Hängen Rohbodenflächen (Abrisse) durch das Herumturnen an diesen Steilhängen. Hier nisten gerne Wildbienen in den offenen Bodenstellen, und Zauneidechsen finden geeignete Eiablageplätze. Auch Ruderalpflanzen wie Mohn oder Natternkopf gehen an diesen Stellen immer wieder auf.

Zauneidechse (Lacerta agilis)
Klatschmohn (Papaver rhoeas)
Gewöhnlicher Natternkopf

Der Kot von Ziegen ist, wie bei allen Weidetieren, eine wichtige Nahrungsquelle für eine ganze Reihe von koprophagen wirbellosen Tieren wie beispielsweise Mistkäfer und ist so Teil einer ganzen Nahrungskette.

Im Fell und Kot von Ziegen und Schafen werden Samen und selbst Kleintiere wie Heuschrecken über die Flächen transportiert, womit diese zur Ausbreitung beitragen.

Durch den Verbiss von Gehölzen entstehen nach einigen Jahren spezielle Krüppelformen (Kuhbüsche), die einen hohen ökologischen Wert als dichte Versteckplätze für Reptilien oder auch sichere Brutplätze für manche Vogelarten haben. Selbst manche Schmetterlinge bevorzugen für ihre Entwicklung speziell diese an sonnigen Standorten stehenden „Verbissformen“, etwa der Schlehe.

Kuhbüsche sind Gehölze, die durch den Verbiss von Rindern eine charakteristische Wuchsform entwickeln. Sie haben eine dichte Krone und bieten Schutz vor Pflanzenfressern. In stark beweideten Gebieten sind sie wichtige „Kinderstuben“ für größere Bäume.

Amsel (Turdus merula)

Amseln bevorzugen bei ihrer Futtersuche neben laubbedecktem Waldboden auch niederen, schütteren Bewuchs und offene Bodenstellen auf beweideten Wiesen.

Weidetiere legen auch Pfade im Gebiet an, entlang derer wiederum eigene Pflanzengesellschaften wachsen, wie zum Beispiel trittunempfindlichere Wegericharten.

Stellenweise schaffen Weidetiere (auch Ziegen) durch regelmäßiges Fressen kurze Weiderasen, während andere Bereiche längere Vegetation aufweisen. Kurze Weiderasen dienen beispielsweise manchen Vogelarten wie der Amsel zur Nahrungssuche. Stellen mit längerer Vegetation werden hingegen von Eidechsen aufgrund der Deckung bevorzugt. Viele Heuschrecken benötigen speziell kleinräumig offene Bodenstellen, die sich schnell aufwärmen, aber gleichzeitig auch Bereiche mit längerer Vegetation. Solche heterogenen Flächen mit laufend neuen Störstellen lassen sich mit Mahd großflächig nicht erzielen. Allgemein ist die Dynamik der wichtigste Faktor für die Artenvielfalt in unserer Natur, und sie wird hervorragend durch Weidetiere erreicht. Auch Nährstoffe werden umverteilt. So koten die Tiere im Bereich ihrer bevorzugten Liegeplätze ab, wo sich gerne nährstoffreiche Pflanzengesellschaften mit Brennnessel und Co ansiedeln. Gleichzeitig werden an anderen Stellen laufend Nährstoffe entzogen, wo besonders gefressen, aber weniger geruht wird.

Im Garten kann man solche Trampelpfade, kleine Störstellen mit Rohboden, längere überständige Vegetation und kurze rasenartige, magere Vegetation jedoch gut nachbilden.

Lässt man Ziegen dauerhaft auf einer kleinen Weidefläche, entsteht lediglich ein kurzer artenarmer Rasen, wie man es aus Wildgehegen kennt. Die Tiere fressen dann jede Wiesenblume als bevorzugte Abwechslung sofort auf.

In Gärten macht eine Haltung von Weidetieren aus „Naturschutzgründen“ also leider keinen Sinn, außer man könnte sich regelmäßig für einen kurzen Zeitraum Tiere leihen.

In Gärten macht eine Haltung von Weidetieren aus „Naturschutzgründen“ also leider keinen Sinn.

Wie beeinflussen die Ziegen die Vegetation und die Biodiversität in der Kiesgrube?

Ziegen fressen hervorragend die meisten Gehölze, speziell Weiden, Schwarzerle, Ahorn und Robinie. Weniger gern wird zum Beispiel bei den Gehölzen die Grauerle gefressen.

Sie fressen in meinem Projekt sehr gut Japanknöterich, der eine typische Problempflanze in Kiesgruben ist. Goldrute würde bei höheren Besatzdichten (zukünftig mit Schafen) hoffentlich besser zurückgedrängt. Im Projekt wird die Goldrute gut nach ihrem Austrieb im Frühjahr gefressen und so ausgedünnt, dann wieder stärker, wenn die Pflanzen blühen. Die Blüten der Goldrute werden stark befressen, so dass sie sich zumindest nicht mehr zusätzlich aussät. Mit höheren Besatzdichten von Schafen und Ziegen lässt sich die Goldrute laut anderen Projekten gut bekämpfen.

Schilf wird von Ziegen sehr gerne gefressen. Es wird dadurch deutlich geschwächt und klein sowie lückig gehalten. Bei stärkerer Beweidung wird es öfter im Jahr auch ganz verdrängt.

Welche Pflanzen oder Pflanzengruppen werden besonders gefördert?

Durch das Zurückdrängen von Schilf und Gebüsch werden speziell konkurrenzschwache Arten wie die Sumpfstendelwurz, die die gleichen Standorte wie das Schilf bevorzugt, gefördert. Typische Wiesenblumen-Arten von mageren Standorten können bei richtiger Weideführung (mahdähnlich kurz mit höherer Tierdichte auf die Flächen stoßen) gut gefördert werden. Nach einem Weidegang sind diese aber erst einmal weg.

Im Projekt konnte die Anzahl von Sumpfstendelwurz etwa erhalten werden, die Anzahl von Bienenragwurz und Helmknabenkraut hat sich seit Beginn verfielfacht. Auch Arten wie die Golddistel haben sich ausgebreitet.

Ziegen fressen sogar Schilfrohr und ermöglichen dadurch konkurrenzschwächeren Arten wie Orchideen das Gedeihen. Foto: Dominik Hauser

Praxis und Erfahrungen: Wie viele Ziegen werden für dieses Projekt eingesetzt?

Jeweils etwa 3-4 eigene Ziegen. Über das Sommerhalbjahr zusätzlich mehrere Leihziegen, sodass es bis zu 12 Ziegen waren. Im Durchschnitt über das Jahr etwa 5 Ziegen auf 2,2 ha. Diese Beweidungsdichte hat sich aber als zu gering herausgestellt für die Ziele hinsichtlich krautiger Vegetation. Es wird daher zunächst mit 5 Schafen ab 2025 begonnen und langsam durch Vermehrung auf die richtige „Pflegeintensität“ aufgestockt.

Wie muss man sich die Haltung der Tiere in einer abgelegenen Kiesgrube vorstellen? 

Den Tieren steht ein dreiseitig geschlossener Unterstand ganzjährig in Form eines mobilen Weidezeltes zur Verfügung. Auf der Waldweide ist außerdem überall Wetterschutz durch Bäume und Gebüsche gegeben. Bei Starkregen nehmen sie das Zelt jedoch gerne als Unterstand an. Ziegen macht die Winterkälte nichts aus, sofern sie ganzjährig vom Frühjahr an draußen gehalten werden. Sie brauchen jedoch trockene Standplätze und sollten auf matschigen Flächen nicht im Gelände überwintert werden.

Die Ziegen werden auf unterschiedlichen Weiden gehalten. Wann ist der „richtige“ Zeitpunkt, die Weide zu wechseln, damit die Artenvielfalt besonders gefördert wird?

Ideal (für die Artenvielfalt) ist ein möglichst kurzer Aufenthalt  auf einer Fläche

Ideal ist ein möglichst kurzer Aufenthalt auf einer Fläche, zumindest für die Pflanzenwelt. Gut wäre es, wenn alle 2-3 Wochen bereits ein Umtrieb möglich wäre. Auch Ziegen fressen zuerst gerne Blütenköpfe von Wiesenblumen ab, und es macht daher Sinn, sie so lange auf der Fläche zu lassen, bis sie auch die restliche Vegetation runtergefressen haben. So kommen konkurrenzärmere Arten wie viele Wiesenblumen verstärkt zur Blüte. Die Flächen blühen jeweils nach einer Beweidung verzögert erneut auf bzw. blühen später als andere Flächen, wenn sie vor der Blüte beweidet wurden. Dadurch verlängert sich das Trachtfließband für die Insekten, da Flächen mit den gleichen Pflanzenarten unterschiedlich früh blühen. Sind Ziegen zu lange auf einer Fläche, fressen sie wiederum die konkurrenzschwächeren Arten, die dann nachwachsen, direkt ab und schwächen sie erneut, was langfristig zu deren Verschwinden führt. Es setzen sich dann sehr fraßtolerante Arten wie Gräser und Arten, die absolut nicht schmecken oder giftig sind, durch. Idealerweise orientiert man sich an der Natur, wo regelmäßig Herden von Pflanzenfressern durchziehen und danach einige Wochen Ruhe herrscht. Gelegentlich kann ein Gebiet auch mal ein Jahr gar nicht beweidet werden (dies passiert in der Natur, wenn Raubtiere sich in diesem Bereich ansiedeln) – viele Arten von Tieren bevorzugen auch solche Sukzessionsflächen.

Für die Tierwelt ist es ansonsten bei geringer Besatzdichte nicht relevant, ob die Tiere dauerhaft auf einer großen Weide wären, da sie nur selten aufeinander treffen. In den Weiden werden regelmäßig auch Vögel wie die Waldschnepfe angetroffen, und die Eidechsen sonnen sich direkt neben den weidenden Ziegen.

Gab es Veränderungen im Gelände oder in der Vegetation seit Beginn der Beweidung?

Anfänglich gab es viele dicht verfilzte Bestände von Goldrute und Landreitgras, wie es in Kiesgruben oft nach einigen Jahren anzutreffen ist. Diese wurden toll aufgelichtet und das Altgras verschwand stellenweise, wird niedergetrampelt, aber auch beim Aufnehmen des jungen Grases immer ein bisschen mitgefressen. Dadurch ist speziell der Hang der Sommerweide im Osten regelrecht aufgeblüht. Anfangs gab es viel dichtes Weidengestrüpp und andere Baumverjüngung, die jährlich weniger wird. Es tritt durch das Schälen der Ziegen immer mehr Totholz auf und es wird insgesamt lichter. Das Schilf nimmt ebenfalls langsam ab, wo regelmäßig beweidet wird. Bienenragwurz und Helmknabenkraut haben deutlich zugenommen, von jeweils einer Einzelpflanze auf mittlerweile mehrere Grüppchen an verschiedenen Standorten. Die Zauneidechse und der Laubfrosch haben zugenommen, blieben jetzt aber die letzten 1-2 Jahre wieder konstant, da zumindest bei der Zauneidechse jetzt der Lebensraum einfach voll zu sein scheint.

Kammmolche sind, nachdem sie nur noch auf der anderen Straßenseite zu finden waren, wieder im Gebiet aufgetaucht und werden zunehmend mehr (wobei dies vor allem auf die Teichanlagen zurückzuführen sein dürfte, teilweise ist das natürlich auch beim Laubfrosch so). Langsam fangen an manchen Stellen Büsche an, kleine dichte Krüppelformen zu bilden (Hartriegel). Wildrosen und Weißdorn sind aus dem dicht verwachsenen Unterholz aufgetaucht, die davor im Schatten „geschlummert“ haben, und beginnen jetzt zu wachsen und zu blühen.

Hundsrose (Rosa canina)
Ziegenweidefläche mit Schilf, Einjährigem Berufkraut (Erigeron annuus), Kanadischer Goldrute (Solidago canadensis), Schilfrohr (Phragmites australis) und Landreitgras (Calamagrostis epigejos).

Im dritten Teil erfährst du, den aktuellen Entwicklungsstand des Beweidungs-Projektes in der Kiesgrube und zukünftige Pläne:

DAS KONZEPT
Die Geiss als Gärtner
DIE PRAXIS
ERGEBNIS + FAZIT

© Das Coverfoto und das drittletzte Bild im Beitrag wurden von Dominik Hauser zur Verfügung gestellt. Alle anderen Fotos von Katja Falkenburger.

Lust auf mehr?

Dann abonniere gerne meinen Blog, um kostenlos die neuen Beiträge zu erhalten. Trage dich dazu gaaaanz unten auf dieser Seite beim Vögelchen in das Newsletterformular ein.

Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, hinterlasse gerne eine Bewertung oder einen Kommentar. Dein Feedback bedeutet mir viel und hilft anderen Lesern, interessante Inhalte zu entdecken. Danke, dass du dabei bist!

Bis zum nächsten Mal! 🙂

5 2 Stimmen
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
8 Kommentare
Älteste
Neueste Meist bewertet
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen