Sukzession im Schnelldurchlauf - auf Entdeckungstour in der Kiesgrube
In einer Kiesgrube lässt sich die erste Ansiedlung und Entwicklung von Pflanzen und Tieren im Zeitraffer beobachten: von einer Mondlandschaft bis zum Wald. Ein spannender Prozess, bei dem man Prinzipien der Natur ablesen kann, die sich auch in einem kleinen Naturgarten umsetzen lassen.
Steil abfallende Wände umrahmen und begrenzen die ehemalige Kiesgrube. Vergessene Berge an Kies und Sand scheinen auf den Abtransport zu warten und die Planierraupe, die alles eben und gleich macht. Eine aufgekratzte, zerklüftete Landschaft aus Materialanhäufungen in Form von kleinen und großen Hügeln auf verschiedenen Ebenen empfängt uns auf unserer Entdeckungstour.
Spicken wir mal in der Kiesgrube, wie man durch Geländeformen vielfältige Mikroklimazonen erzeugt und wie man diese fantastisch funktionierenden Effekte auch auf den Garten übertragen kann.
Wer mehr zu den Grundlagen eines Naturgartens wissen möchte, kann das in meinem Buch „So geht Naturgarten“ nachlesen.
Lebenselixier Wasser
Ohne Wasser geht nichts!
Es ist glühend heiß. Die warme Luft des Sommertages staut sich in dieser künstlichen Senke. Trostlos und lebensfeindlich wirkt der blanke Kies, der von der Sonne erbarmungslos erhitzt wird. Und doch lässt sich hier schon das erste Grün entdecken. Feine Partikel, erste Nährstoffe und Feuchtigkeit haben sich im Laufe der Zeit in den Zwischenräumen des Kieses angesammelt.
Niederschlagswasser sammelt sich hauptsächlich an den Rändern von Hügeln, in Senken, Fahrrinnen und Rissen, was man an dem ersten Grün in diesen Bereichen auf dem Foto sehen kann.
Ist es nicht erstaunlich, dass hier, auf meterdickem Schotter und blankem Stein, tapfer die ersten Pflanzen wachsen!
Vielfältige Geländeformen verteilen Wasser und Nährstoffe ungleichmäßig. Ob Berge und Täler oder einfache Fahrrinnen: Niederschlagswasser sucht sich seinen Weg von den Kuppen und sammelt sich zusammen mit Nährstoffen in den Senken.
Dieses Prinzip lässt sich hervorragend im eigenen Garten nutzen, indem man feuchtigkeitsliebende Pflanzen in den Senken und trockenheitsliebende Pflanzen auf den Erhebungen pflanzt – damit viele Arten in deinem Garten Platz finden!
Die Geländeform und das Mikroklima
Ständig wechselt das Gelände. Als wäre es so angelegt, umrahmt ein sanft geschwungener Wall eine Kuhle. Ob sich diese zeitweise auch mit Wasser füllt? Vermutlich nicht, da keine feuchten Stellen oder entsprechenden Bewuchs erkennbar sind. Dennoch scheint es, dass die üppiger wachsenden Pflanzen innerhalb des Walls im Vergleich zum Bereich außerhalb des Walls von etwas mehr Feuchtigkeit profitieren.
Das Fantastische an den vielfältigen Geländeformen ist, dass sich das Mikroklima theoretisch an jedem Punkt einer Senke oder Erhebung ändert. Je nach Sonnenausrichtung und Schräge variieren Temperatur, Licht sowie Nährstoff- und Wasserversorgung und bereiten so den Boden auf die vielfältigen und manchmal sehr speziellen Bedürfnisse einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren vor.
Ein paar Senken und Erhebungen in verschiedenen Maßstäben und Formen in der Landschaft und schon funktioniert das gleich viel besser mit der Artenvielfalt – ein super Trick der Natur!
Wohin mit dem Aushub der Baugrube oder einem Teich? Wie wäre es mit einer dreidimensionalen Gestaltung mit Hügeln und Wällen zur Gliederung deines Gartens und zur Schaffung von geschützten Sitzecken?
Damit kannst du auf kleinster Fläche ganz unterschiedliche Mikroklimazonen erzeugen und vermeintlich nicht zusammenpassende Pflanzen vereinen: Beispielsweise im Süden eines Hügels wärmebedürftige, mediterrane Kräuter und im Norden vielleicht sogar feuchtigkeits- und schattenliebende Farne.
Gucken wir mal genauer hin:
Der kleine Wall scheint völlig unspektakulär im Vergleich zu den umliegenden riesigen, steilen Hängen, hat es aber in sich. Ein kurzer, etwas wettergeschützter Abschnitt des Walls ist völlig durchlöchert. Das dort vorhandene Mikroklima muss besonders gut zur Anlage von Nisthöhlen für Wildbienen geeignet sein. Mit dem „Wall am laufenden Meter“ kann sich Frau Biene die Traumlage ja direkt aussuchen! 🙂
Es wäre spannend herauszufinden, welche Chancen allein die geschwungene Form noch für weitere Pflanzen und Tiere bietet, die mehr oder weniger Schatten, Feuchtigkeit, Wärme oder Nährstoffe benötigen.
Daher: Sand, Kies oder Steine oder organische Reste nicht entsorgen, sondern vorsorglich zur Förderung der Artenvielfalt vor Ort versorgen!
Denn mit unterschiedlichen Materialien und Mischungen daraus lassen sich im Garten aus abdichtendem Lehm, schnell abtrocknendem Sand und Kies, sowie fruchtbarem Humus gezielt Inseln für seltene oder spezialisierte Pflanzen und Tiere schaffen.
Es wuselt!
Nicht weit entfernt entdecken wir ein dichtes Netz an Ameisenstraßen. Weitere Wildbienen haben hier, auf der geraden Fläche im Sandboden Nisthöhlen angelegt – Hunderte! Wir trauen uns kaum zu laufen, so perforiert ist der trockene Sandboden zu unseren Füßen. Wo soll man hintreten, ohne diese zu zerstören.
Scheint als Futter zu taugen, die abenteuerlich aussehende, aus Nordamerika stammende Büffelzikade (Stictocephala bisonia), die Anfang des 20. Jahrhunderts eingeschleppt wurde.
Ameisen gehören zu den am stärksten bedrohten Insekten. In Deutschland gibt es über 100 Arten mit unterschiedlichen Ansprüchen, die sich freuen, wenn sie wenigstens in Gärten einen ungestörten Platz finden – zum Beispiel an Mauern, in Altholz, im alten Sandkasten oder in der Wiese.
In Richtung Wald und Hand haben sich in einer Kuhle größere Steine und Altholz angesammelt – ein Unterschlupf auch für größere Tiere wie Reptilien, Amphibien und kleine Säugetiere. Und hier ist auch schon eine erste Eidechse!
Es sprießt!
Man kann sich nicht mit dem eigenen Schopf aus dem Dreck ziehen?
Pflanzen können das! Haben erst die grünen Überlebenskünstler einmal Fuß gefasst, beginnt das „Schattenspiel“. Das geht so: Durch die Beschattung und die durch eine auf dem Boden liegende Blätterschicht verdunstet weniger Wasser. Diese zusätzliche Feuchtigkeit kann dann von weiteren Pflanzen genutzt werden – so lange, bis die Fläche dicht bewachsen ist und der Kampf um Licht beginnt.
Ein paar Pflanzen, ein bisschen Schatten und schon lebt es sich angenehmer. Die dürre Beschattung eines halbvertrockneten Busches reicht aus, um Pilzen, die wie trockene Kartoffelboviste aussehen, das Leben im trockenen Sand zu erleichtern.
Die „wundersame Vermehrung“ von Pflanzen kennst du vielleicht auch – fängt man einmal damit an, muss man einfach alle haben. Vermutlich ein geheimer Trick der Pflanze! Aber das ist eine andere Geschichte: die Geschichte von Gärtnern, die immer zu wenig Platz haben! 🙂
Es grünt und blüht!
Nachdem sich erste, hartgesottene Pioniere durchgesetzt haben, ist der Boden für weitere Pflanzenarten geebnet. Wir finden immer mehr nährstoffliebende, ein- bis zweijährige, typische Ruderal- oder Pionierpflanzen. Auch Acker-Begleitkräuter profitieren von offenem Boden, wie Kamille und Knötericharten. Zudem sieht man verblühte Reste von Klatschmohn oder Kornblumen. Hier müssen wir nochmals im Mai oder Juni vorbeischauen, wenn alles blüht!
Ruderalpflanzen eignen sich auch hervorragend für Stellen mit offenem Boden im Garten, zum Beispiel nach Bautätigkeiten oder an Orten, an denen früher der Kompost, der Sandhaufen der Kinder oder ein Zelt zu lange gestanden hat. Wie wäre es folgender Mischung:
- Großer Klatschmohn (Papaver rhoeas)
- Strahlendolde (Astrantia major)
- Kornblume (Centaurea cyanus)
- Kamille (Matricaria chamomilla)
- Färberwaid (Isatis tinctoria)
- Gemeine Nachtkerze (Oenothera biennis)
- Große Königskerze (Verbascum thapsus)
- Eselsdistel (Onopordum acanthium)
- Wolldistel (Cirsium eriophorum)
Passende Pflanzenlisten findest du übrigens in meinem Buch „So geht Naturgarten“, auf Seite 58.
Gehölze: Büsche und Bäume
Ein Gewitter scheint aufzuziehen. Dunkle Wolken ziehen am Himmel auf, und die Luft wird schwerer. Auf unserem Rückweg entdecken wir hier und da erste Gehölzsprösslinge, die sich im sandigen Boden ihren Platz suchen. Unglaublich, wie schnell die letzte Stufe der Sukzession, die Bildung von Wald, einsetzt – schon parallel zum ersten Aufkommen von Kräutern und Gräsern. Nur durch regelmäßige Mahd und Beweidung lässt sich die Entstehung von offenen Wiesenflächen aufrechterhalten.
Ohne Mähen oder Beweidung keine Blumen!
Mit dem Mähen im Garten übernehmen wir den Job von Weidetieren und unterdrücken das Aufkommen von Gehölzen. So können wir die Artenvielfalt von Gräsern und Kräutern erhalten. Aber Mähen ist nicht gleich Mähen – dazu mehr in einem kommenden Beitrag.
Dunkle Wolken ziehen auf!
Unsere Zeitreise durch die Galaxie der Kiesgrube – von ‚Null auf Wald‘ in Lichtgeschwindigkeit – wird abrupt beendet.
Beamen wir uns schnell zum Auto!
Dieser Beitrag will nicht den Abbau von Kies und die damit verbundene Zerstörung von Wäldern und Wiesen beschönigen, sondern die erstaunliche Regenerationsfähigkeit der Natur zeigen, die sich trotz aller Widrigkeiten erholen kann – wenn man sie denn lässt!
© Alle Fotos und Illustrationen von Katja Falkenburger
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